Fast jeder schiebt in seinem Leben in unterschiedlichem Ausmaß Dinge auf. Das Fachwort dafür heißt Prokrastination und stammt vom lateinischen „procrastinare“, was „vertagen“ oder „aufschieben“ bedeutet. Zum echten Problem wird das Aufschieben erst, wenn es dazu führt, dass wir unsere Ziele nicht erreichen, wichtige Fristen nicht einhalten oder wir uns schlecht damit fühlen.

Um dieses Phänomen, das wir alle kennen, zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den Ursprung dieses Verhaltens, der im Belohnungssystem des menschlichen Gehirns liegt. Das Gehirn arbeitet höchst effektiv und ist auf Energiesparen ausgelegt.

Um das sicherzustellen, gibt es ein biologisches Belohnungssystem, das beim Erreichen eines Ziels oder einer Lösung durch das Ausschütten von Endorphinen ein Glücksgefühl erzeugt. Das führt dazu, dass der Mensch zur Erreichung dieses Glücksgefühls sich möglichst mit Dingen beschäftigt, die ihn schnell „belohnen“.

Bei der Erfüllung beruflicher und privater Pflichten ist es jedoch häufig so, dass diese Belohnung in ferner Zukunft liegt, nicht sofort gesehen werden kann oder erst nach Überwindung von Herausforderungen zustande kommt.

Das passiert immer bei Tätigkeiten oder Pflichten, die wir mit negativen Erfahrungen oder Gefühlen verbinden, die uns keinen Spaß machen, die uns anstrengen, stressen oder vielleicht nicht ganz unseren Talenten entsprechen, es aber trotzdem unumgänglich ist, sich ihnen zu stellen.

Und genau das ist die Wurzel der Prokrastination, bei der wir berufliche und private Tätigkeiten verschieben oder hinauszögern. Da dies jedoch „schlechtes Gewissen“ erzeugt, suchen wir uns sogenannte alternative Pflichten, die uns angenehmer erscheinen und einen schnellen Erfolg (= Belohnung) versprechen.

So trainieren wir uns Ersatzhandlungen an, die häufig zu unbewussten Gewohnheiten und Verhaltensweisen werden, deren Entstehungsgrund verdrängt wird. Kurzfristig haben wir also das Problem „gelöst“ und haben uns der Mühe und des schlechten Gewissens entledigt. Doch die eigentliche Aufgabe ist nicht erledigt und steht deshalb weiterhin auf unserer To-Do Liste.

Die Folge und Wiederholung des ständigen Aufschiebens erzeugt einen Teufelskreis, der das Problem sogar noch verstärkt. Denn früher oder später werden wir mit den Folgen des Aufschiebens konfrontiert. Wir sind unzufrieden, gestresst und haben ein schlechtes Gewissen. Dazu kommen häufig äußere Konsequenzen, wie schlechte Leistungen, verpasste Fristen, das Nichterreichen persönlicher Ziele oder Probleme mit Mitmenschen.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es notwendig, unser Belohnungssystem mithilfe der richtigen Strategie zu auszutricksen. Wenn wir uns dieser Funktionsweise bewusst sind, können wir lernen, sie gezielt mit Blick auf unsere Aufgaben und Ziele einzusetzen.

Die gute Nachricht ist also: Jede Gewohnheit, also auch die Prokrastination ist erlernt und lässt sich somit auch wieder verlernen. Mithilfe der folgenden Übungen gelingt es Ihnen Schritt für Schritt.

Bitte beachten Sie jedoch, dass sich Verhaltensweisen, die über eine lange Zeit (manchmal sogar Jahrzehnte) etabliert wurden, nicht von heute auf Morgen verändern lassen. Seien Sie geduldig mit sich selbst und feiern Sie kleine Erfolge.

Beantworten Sie bitte die folgenden Fragen, um einen ersten Eindruck über Ihr Prokrastinationsverhalten zu gewinnen:

Halte ich mich selbst für einen Aufschieber/in? Weshalb denke ich das?

Werfen Sie einen Blick darauf, inwiefern sich Ihr Prokrastinieren auf Ihre einzelnen Lebensbereiche auswirkt:

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine Arbeit, Studium oder Ausbildung? (z.B. schlechte Leistungen, verpasste Fristen, verpasste Karrierechancen)

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine Freizeit? (z.B. Ausgehen, Unterhaltung, Sport, Hobbys)

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine sozialen Kontakte?  (z.B. Verhältnis zu Partnern, anderen Familienmitgliedern, Freunden)

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine generelle Zufriedenheit im Leben? (z. B. Ausgeglichenheit, Antrieb)

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine Gesundheit? (z.B. Muskelverspannungen, Schlafstörungen, innere Unruhe, Nervosität, Gereiztheit)

Inwiefern beeinträchtigt meine Prokrastination meine häuslichen Pflichten? (z.B. Hausarbeiten, Rechnungen bezahlen, Einkaufen)

In welchem Bereich stellt das Aufschieben meiner Meinung nach das größte Problem dar und weshalb sehe ich das so?

Die folgenden Aussagen geben einen näheren Einblick in Ihr konkretes Verhalten in Bezug auf das Beginnen und Ausführen wichtiger beruflicher und privater Tätigkeiten.

Bitte notieren Sie unter jeder Aussage, ob sie auf Sie zutrifft oder nicht und schreiben, ob das vornehmlich im Beruf oder Privatleben so ist. Falls Sie zu bestimmten Aussagen etwas ergänzen möchten, können Sie das gerne tun.

Den Beginn von wichtigen Arbeiten schiebe ich gerne bis zum letzten Moment hinaus.

Die Arbeit an wichtigen Aufgaben löst in mir unangenehme Gefühle aus.

Bevor ich mit einer wichtigen Aufgabe beginne, erledige ich lieber erst eine weniger wichtige Sache.

Die Erledigung wichtiger Tätigkeiten schiebe ich gerne vor mir her.

Wenn ich mir vornehme, mit einer wichtigen Arbeit anzufangen, gelingt es mir häufig nicht.

Wenn ich mit einer wichtigen Tätigkeit beginnen möchte, scheinen mir andere Tätigkeiten wichtiger, attraktiver oder dringlicher.

Ich beginne mit einer wichtigen Aufgabe erst, wenn ich unter Druck gerate.

Ich lasse mich beim Erledigen unliebsamer Aufgaben gerne ablenken.

Ich breche wichtige Aufgaben in der Regel ab, wenn ich nicht weiterkomme.

Wann habe ich zuletzt eine sehr wichtige Tätigkeit über den passenden Zeitpunkt hinaus aufgeschoben, obwohl Zeit dafür zur Verfügung stand?

In welchem Ausmaß hat das Aufschieben das Erreichen meiner persönlichen Ziele beeinträchtigt?

Habe ich in diesem Fall andere, weniger relevante Tätigkeiten vorgezogen, anstatt mit der wichtigen Tätigkeit zu beginnen?

Inwiefern hat die aufgeschobene Tätigkeit Abneigung und Widerwillen bei mir ausgelöst?

Inwiefern leide ich unter meinem Aufschiebeverhalten?
(z.B. Gefühlsmäßig, körperlich, psychische Beschwerden, wie Unruhe, Angst oder innerer Druck)

Wie wirkt sich meine Aufschieberitis in meinem Alltag und auf meine Lebensqualität aus? (z.B. Ich entfalte mein volles Potential nicht, ich bringe nicht die volle Leistung im Beruf, meine Partnerschaft oder sozialen Kontakte leiden darunter)

Habe ich schon einmal etwas gegen mein Aufschieben unternommen? Was war das und wie waren meine Erfahrungen?

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